Entstehung der Krankheit und beteiligte Funktionskreise

Bei der Entstehung von Krankheiten unterscheidet die TCM innere und äußere Ursachen sowie solche, die weder innen noch außen sind. Zu den inneren Faktoren zählen Emotionen wie Zorn, Angst, Grübeln/Sorgen machen, Freude und Trauer. Die äußeren Ursachen beziehen sich auf klimatische Faktoren wie Wind, Kälte, Feuchtigkeit, Hitze und Trockenheit. Dieselben Begriffe werden auch verwendet, um entsprechende Zustände im Körper zu beschreiben. Weder zu den inneren noch zu den äußeren Faktoren sind zum Beispiel Insektenstiche zu zählen, aber auch die Ernährung. Außerdem spielt die angeborene Konstitution eine Rolle (chin. „Jing“, westl. „Gene).

In der Folge gehe ich auf die auslösenden Faktoren ein, die bei Neurodermitis wichtig sind.

Schwaches Milz-Qi

Es kann davon ausgegangen werden, dass primär eine angeborene oder erworbene[8] Schwäche von Milz und Magen zu der Entstehung von Feuchter Hitze führt. Ein schwaches Milz-Qi bedeutet nichts anderes als eine mangelhafte Verdauungskraft bzw. Umwandlungskraft von körperfremden in körpereigene Stoffe. Das heißt, der Stoffwechsel funktioniert nicht optimal. Dadurch wird die Nahrung nicht ausreichend umgesetzt und Feuchtigkeit (westl. „Schlacken“) bleibt im Körper zurück. Wenn diese längere Zeit im Körper verweilt bzw. stagniert, entsteht durch die Körpertemperatur zusätzlich Hitze. Dieser Prozess wird unterstützt durch eine ungünstige Ernährung (zu süß, zu viel, zu fett), die ihrerseits zur Entstehung von Feuchtigkeit bzw. feuchter Hitze beiträgt. Diese Feuchtigkeit will den Körper irgendwie verlassen und wählt im Falle des/der NeurodermitikerIn dazu die Haut aus. Typisch sind nässende Ausschläge bzw. mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen, die eindeutig ein Zuviel an Feuchtigkeit im Körper anzeigen. Die Rötung der Haut ist ein Zeichen für die Hitze.

Äußere Faktoren

Die äußeren Faktoren wie Feuchtigkeit, Hitze und Wind können zu einer Akkumulation von Feuchter Hitze unter der Haut führen[9], die dann die innere Feuchte Hitze potenziert. Der äußere Wind kann den inneren Wind, der durch extreme Leere (von Qi, Blut, Körpersäften) entsteht, verstärken und so den Juckreiz verschlimmern. Die Leere kommt daher, dass durch eine lang andauernde Ansammlung von Feuchter Hitze im Körper die Umwandlungsfunktion der Milz so sehr behindert wird, dass zu wenig Blut und andere lebensnotwendige Substanzen aus der Nahrung gewonnen werden können. Außerdem verköchelt starke Hitze die Säfte und das Blut. Da die Haut dann zu wenig genährt wird, entsteht Trockenheit der Haut, ein typisches Zeichen einer länger andauernden Neurodermitis.

Innere Faktoren

Auch die inneren Faktoren, also die Emotionen, spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Neurodermitis. Nach der TCM haben die unterschiedlichen Emotionen jeweils verschiedene Wirkungen auf den Körper und sind auch mit einem bestimmten Funktionskreis (Organsystem) verbunden. Zorn und Wut wirken zum Beispiel erhitzend und schädigen besonders die Leber, die auch besonders anfällig für Frustrationen und Stress ist. Sich ständig um alles Sorgen zu machen beeinflusst die Milz und führt zur Entstehung von Feuchtigkeit.

Schwelgt Ihr in den fünf Emotionen – Freude, Zorn, Traurigkeit, Angst oder Sorge und Schock –, kann dies zu Unausgewogenheit führen.[10] Jede/r NeurodermitikerIn kennt wahrscheinlich den Zusammenhang von psychischer Verfassung und dem Zustand der Haut. Deshalb muss klar sein, dass die Rolle der Emotionen bei der Entstehung von Neurodermitis und auch beim Verlauf der Krankheit auf keinen Fall ignoriert werden darf. Die TCM bietet dazu eine gute Basis an, da sie den Menschen in seiner Gesamtheit aus Körper und Seele sieht und dementsprechend die Emotionen immer mit berücksichtigt werden.

Einfluss der Lunge

Da die Haut laut der 5-Elemente-Lehre der Lunge zuzuordnen ist, spielt diese ebenfalls eine Rolle bei Neurodermitis.[11] Zur Lunge gehört als Partnerorgan der Dickdarm, der ebenfalls von einem Ungleichgewicht betroffen sein kann (gemeinsam mit dem Dünndarm) und wiederum sehr eng mit der Stoffwechselfunktion, also dem Milz-Qi, zusammenhängt.

Die Lunge ist nach der TCM verantwortlich für die absteigende Bewegung, also auch für die Ausscheidung durch den Dickdarm bzw. die Darmperistaltik. Wenn diese Funktion gestört ist, kommt es zu unvollständiger Ausscheidung oder sogar Verstopfung, was sich direkt auf der Haut auswirkt.[12] Außerdem hat die Lunge eine verteilende Funktion, das heißt sie versorgt auch die Körperoberfläche mit der reinen Essenz, die aus der Nahrung gewonnen wird. Der Zustand der Haut weist also ganz klar auf den energetischen Zustand der Lunge hin.

In der Lunge sitzt auch das „weiqi“, das Abwehr-Qi, mit dem das Immunsystem, also die Kraft zur Abwehr von Krankheiten bzw. pathogenen Faktoren gemeint ist. „Laut Prof. Jia Chang (...) ist jede Hautproblematik auf eine Schwäche des Abwehr-Qi (weiqi) zurückzuführen.“[13] Es entsteht ein Teufelskreis im Körper des Neurodermitikers, da einerseits das schwache Milz-Qi nicht genug Abwehr-Qi aus der Nahrung produzieren kann (die Lunge ist das „Kind“ der Milz). Andererseits macht die geschwächte Immunkraft den Körper anfällig für den Angriff pathogener Faktoren, was zum Beispiel zu Asthma (Verbindung von Haut und Lunge) oder Allergien führen kann. (Tipps zur Stärkung des Immunsystems)

Weitere betroffene Organsysteme

Laut Diolosa[14] sind außerdem noch Herz und Leber an dem typischen Neurodermitis-Kreislauf beteiligt. Die Leber speichert laut TCM das Blut, welches beim Neurodermitiker nicht mehr so sauber ist, wie es sein sollte, um den Körper und die Haut zu nähren. Durch das Kratzen öffnet man die Haut, damit das toxische Blut rauskommt. Dies entspricht laut Diolosa der Akupunkturmethode des „Sedierens“ und ist eine natürliche Reaktion des Körpers. Das Herz wiederum ist für einen ruhigen Schlaf zuständig, welcher durch den Juckreiz häufig gestört ist. Durch die fehlende Regeneration wird das Blut heiß, es kommt zu Bluthitze, die bei chronischem Zustand zu Blutstagnation führt (sichtbar an Flecken auf der Haut). Um einen Ausweg aus diesem Teufelskreis zu finden, muss das Herz beruhigt werden, um den Schlaf zu verbessern.

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass bei der Entstehung von Neurodermitis viele Faktoren eine Rolle spielen und verschiedene Funktionskreise beteiligt sind. Alle diese sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Deshalb kann der Versuch, Neurodermitis zu lindern, nur gelingen, wenn möglichst viele Ebenen berücksichtigt werden. Ich gehe in dieser Arbeit hauptsächlich auf die Rolle der Ernährung bei Neurodermitis (Kapitel 3) ein und streife die anderen Faktoren nur oberflächlich im Kapitel 4 (Begleitende Maßnahmen).

[8] Angeboren meint, dass ein schwacher Stoffwechsel/ein schwaches Milz-Qi auch von den Eltern an ihr Kind vererbt werden kann, zum Beispiel wenn diese bei der Zeugung energetisch geschwächt waren oder sich die Mutter in der Schwangerschaft ungünstig ernährt hat. Erworben meint, dass durch ungünstige Lebensumstände auch ein ursprünglich starkes Milz-Qi zu einem schwachen werden kann.

[9] Aus Ploberger in Noll/Kirschbaum (Hg.) 2006, S. 370.

[10] Der Gelbe Kaiser, S. 40.

[11] Jacoby 2000, S. 232, beschreibt Neurodermitis als „Wind-Hitze-Angriff auf die Lunge“. (Hervorhebung von mir)

[12] Claude Diolosa, der bekannte TCM-Arzt und -Lehrer, spricht in seinem Vortrag (Kassette Nr. 10, Hautkrankheiten) über die Wichtigkeit einer Darmsanierung für die Haut. Auch im Westen ist der Zusammenhang zwischen Darm und Haut bekannt

[13] Ploberger in Noll/Kirschbaum (Hg.) 2006, S. 370. (Hervorhebung von mir)

[14] Diolosa, Kassette Nr. 10, Hautkrankheiten.

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